Nach Jahren der Liberalisierung kehren einige große EU-Staaten zur zentralen Steuerung ihrer Stromkapazitäten zurück. Kapazitätsmärkte garantieren, dass eine bestimmte Menge an Kraftwerkskapazität zur Verfügung steht, oft über langfristige Verträge. Während Regierungen darin eine Möglichkeit sehen, stabile Strompreise zu sichern, warnen Experten und interne EU-Dokumente vor gravierenden Nachteilen.
Die wachsende Rolle der Kapazitätsmärkte
Derzeit existieren Kapazitätsmechanismen in rund 40 Prozent der EU, insbesondere in Frankreich, Polen, Italien, Belgien und Irland. Doch nach der Energiekrise erwägen nun auch Deutschland, Spanien und Schweden eigene Systeme. Eine neue EU-Strommarktreform, die solche Mechanismen zuvor nur als „letztes Mittel“ betrachtete, beschreibt sie nun als potenziell „wichtige Instrumente“. Dadurch könnte ein massiver Ausbau dieser Märkte bevorstehen.
Probleme und Risiken
Kapazitätsmärkte lösen zentrale Herausforderungen des europäischen Stromsystems nicht. Die Integration erneuerbarer Energien und ein stärker vernetztes Stromnetz werden durch sie nicht vorangetrieben. Viele Betreiber nehmen zwar Subventionen an, liefern aber nicht die vereinbarte Leistung und zahlen stattdessen geringe Strafen. Zudem besteht die Gefahr von Überkapazitäten, da Politiker nicht für Strommangel verantwortlich gemacht werden wollen und daher zu großzügig planen. Die Kosten dieser Fehleinschätzungen tragen letztlich die Verbraucher.
Auch der Wettbewerb auf dem Energiemarkt wird durch Kapazitätsmärkte verzerrt. Große, steuerbare Energiequellen wie Gas, Kernkraft und Wasserkraft profitieren am meisten, während erneuerbare Energien benachteiligt werden.
Unvereinbarkeit mit dem EU-Supernetz
Kapazitätsmärkte passen nicht zu dem stärker vernetzten europäischen Stromsystem, das derzeit aufgebaut wird. Subventionierte Kraftwerke innerhalb eines Landes erschweren den Wettbewerb für Stromproduzenten in Nachbarländern, was dazu führt, dass auch diese eigene Kapazitätsmechanismen einführen müssen. Dadurch entsteht eine teure Kettenreaktion, die das europäische Energiesystem verteuert, ohne es effizienter zu machen.
Langfristige Verträge als Problem
Besonders problematisch sind die oft abgeschlossenen 15-Jahres-Verträge. Sie binden Subventionen über Jahrzehnte an fossile Energieträger, selbst wenn der tatsächliche Bedarf in Zukunft sinkt. Ein Beispiel ist der polnische Kapazitätsmarkt, der Stromimporte ignoriert und nicht von Exporten ausgeht. Laut der EU-Aufsichtsbehörde ACER könnte dies dazu führen, dass Betreiber hohe staatliche Zahlungen erhalten, während das Gesamtsystem ineffizient bleibt.
Teure Lösung mit ungewissem Nutzen
Kapazitätsmärkte sind nicht grundsätzlich eine schlechte Idee, aber ihre Umsetzung entscheidet über Erfolg oder Misserfolg. Experten warnen, dass eine unkontrollierte Einführung hohe Kosten verursachen könnte, ohne das eigentliche Problem – ein stabiles und nachhaltiges Stromnetz – zu lösen. Es bleibt abzuwarten, ob die EU-Staaten rechtzeitig Alternativen in Betracht ziehen, bevor sie sich durch langfristige Verträge an möglicherweise ineffiziente und teure Kapazitätsmechanismen binden.