Nachhaltigkeit war in den vergangenen Jahren eines der zentralen Themen in Politik und Wirtschaft. Doch in letzter Zeit nehmen viele Unternehmen Abschied von ihren ambitionierten Zielen oder lockern sie erheblich. Experten warnen: Diese Entwicklung könnte nicht nur dem Klima und der sozialen Vielfalt schaden, sondern auch die langfristige Wettbewerbsfähigkeit gefährden.
Unternehmen ziehen sich zurück
Noch vor wenigen Jahren war es für Konzerne ein Wettbewerbsvorteil, wenn sie sich mit ambitionierten Nachhaltigkeitsplänen positionierten. Doch nun rudern immer mehr Unternehmen zurück. Die Erklärungen dafür bleiben oft vage und beinhalten Begriffe wie „neue Strategie“, „Priorisierung“ oder „Fokussierung“.
Diese Entwicklung lässt sich in verschiedenen Branchen beobachten. Neben den ölkonzernen Shell und BP setzen auch Lebensmittel- und Konsumgüterhersteller wie Unilever, Coca-Cola und Walmart weniger ehrgeizige Ziele. Sie reduzieren ihre Anstrengungen in Bereichen wie wiederverwertbare Verpackungen, Klimaschutz oder Diversität.
Veränderte Prioritäten
Laut einer Analyse der Unternehmensberatung Bain & Company hat der Fokus auf Nachhaltigkeit seit 2022 weltweit deutlich nachgelassen. Stattdessen dominieren andere Themen die Agenden der Unternehmensführungen: Künstliche Intelligenz, Wachstum, Inflation und geopolitische Unsicherheiten stehen im Vordergrund.
Henning Osmers-Rentzsch, Nachhaltigkeitschef des Mineralbrunnens Vilsa, betrachtet diese Entwicklung mit Sorge: „Wer jetzt meint, sich beim Thema Nachhaltigkeit für einige Jahre ausruhen zu können, wird später umso mehr unter Druck stehen.“ Er betont, dass langfristig orientierte Unternehmen weiterhin auf Energieautarkie, Wasserschutz, Kreislaufwirtschaft und Klimaschutz setzen müssen, um sich Wettbewerbsvorteile zu sichern.
Finanzielle Interessen als Hindernis
Ein wesentlicher Faktor für das Nachlassen der Nachhaltigkeitsbemühungen sind rein finanzielle Interessen. „Viele Investoren verfolgen kurzfristige Ziele und sehen Nachhaltigkeitsmanagement vor allem als Kostenfaktor und Bürokratie“, erklärt der Ökonom Patrick Velte. Dadurch geraten langfristige Nachhaltigkeitsstrategien unter Druck.
Beispiel Unilever: Nachhaltigkeit mit Einschränkungen
Ein prominentes Beispiel für den Rückzug aus ambitionierten Nachhaltigkeitsplänen ist Unilever. Der britische Konsumgüterhersteller hat einige seiner einst ehrgeizigen Ziele abgeschwächt oder gestrichen. Zwar hält das Unternehmen an seinen Klimazielen fest, doch bei Themen wie recyceltem Plastik, dem Schutz von Ökosystemen, der Reduktion von Lebensmittelabfällen und Diversitätsförderung wurden die Vorgaben gelockert. Unilever begründet dies mit einer gezielteren Ressourcenverteilung und einer Fokussierung auf vier Kernthemen: Klima, Natur, Verpackungen und die Steigerung der Lebensstandards.
Nachhaltigkeit bleibt eine Notwendigkeit
Trotz dieser Gegenbewegung bleibt der langfristige Druck auf Unternehmen bestehen. „Die Menschen spüren die Auswirkungen der Klimakrise immer deutlicher. Deshalb steigt der Druck zu handeln auf Dauer weiter“, sagt Osmers-Rentzsch. Unternehmen, die Nachhaltigkeit aus echter Überzeugung verfolgen, würden ihre Strategien weiterverfolgen, während andere, die primär aus Marketinggründen agierten, nun zurückruderten.
Langfristig dürfte sich zeigen, dass Unternehmen, die weiterhin auf Nachhaltigkeit setzen, wirtschaftlich besser dastehen. Die Herausforderungen durch den Klimawandel und soziale Ungleichheiten werden nicht verschwinden – und auch Investoren dürften zunehmend Wert auf nachhaltige Geschäftsmodelle legen.